Schöpfer und Schießprügel – ein Abend in Bremen

Schöpfer und Schießprügel – ein Abend in Bremen

Samstagmittag in einem deutschen Großstadtbahnhof: Reisende wuchten ihre riesigen Koffer die rolltreppenfreien Stufen hoch, Jugendgruppen mit Strohhüten und bunten Bierflaschen in der Hand schieben sich an mir vorbei, Ein Obdachloser muss den Müll durchwühlen, weil die Leute es immer noch nicht schaffen, ihre Pfandflaschen einfach daneben zu stellen. Vor dem Bahnhof weisen die Menge an grün-weißen Schals und die abgerockten Typen, die mit Aldi-Einkaufswagen bewaffnet Pfanddosen einsammeln, auf das anstehende Werder-Heimspiel hin. Aber deshalb bin ich nicht hier…

…zwei Stunden vorher besteige ich in Essen einen mächtig verspäteten ICE. Immerhin bin ich nicht allein: Reparatur an der Strecke, Reparatur am Zug, Reparatur am Signal, verspätete Bereitstellung des Zuges – die Deutsche Bahn zeigt wieder ein Best-Of ihres Könnens. Spontan habe ich mich mit Hannoi in Bremen für einen Fotoabend verabredet und für nen knappen Fuffi eine Zugfahrt nach Bremen und zurück gebucht. Die knapp 7 Stunden Aufenthalt im Bremen sind mehr als genug für diese doch recht überschaubare Stadt und ein vielversprechender Sonnenuntergang war auch vorhergesagt. Außerdem bin ich auf Instagram reingefallen, aber später mehr davon…

Die Hinfahrt verlief völlig ereignislos, auch wenn ich nie verstehen werde, warum ein ICE in Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum UND Dortmund halten muss, also auf knapp 80 km ganze fünf Mal. Der gut aufgelegte Zugchef: „So, jetzt hat unsere S-Bahn-Fahrt endlich ein Ende, wir versuchen jetzt, ne halbe Stunde aufzuholen.“ Dies gelang auch tatsächlich, mit nur 10 Minuten Verspätung rollten wir in Bremen ein. Draußen zauberten mir die eingangs erwähnten Pfandsammler ein Lächeln ins Gesicht, sie fingen einen handfesten Streit untereinander an, in dessen Verlauf einer der beiden sich nicht scheute, die anwesende Polizei darauf hinzuweisen, dass der andere ihm sechs Flaschen und den (leeren) Einkaufswagen geklaut habe. Untermalt wurde dies von einer Bollerwagengruppe, die neben den ca. 10 Kisten Beck’s auch einen Ghettoblaster dabei hatte, aus dem ‚der Zug hat keine Bremsen‘ tönte. Furchtbares Lied, aber vor einem Hauptbahnhof traf das doch mein Humorzentrum.

Straßenszene auf der Bahnhofstraße | Fujinon 16-80mm @ Fuji X-T4 | 1/50s. | f16 | ISO 160 | 56mm KB

Hannoi tippelte nun auch ein und wir machten uns auf den Weg in die Stadt. Auf dem Weg dorthin kamen wir an einem dieser üblichen Missionars-Stände vorbei, an denen dir jemand was über Gott und die Welt erzählen will. Immerhin hatten die so viel Humor, sich direkt vor einem Waffengeschäft zu platzieren. Schöpfer und Schießprügel – willkommen in Alabama!

Sweet Home Alabama…

Nächstes Ziel war die Böttcherstraße. Ich habe eine f1.4-Festbrennweite dabei und bin bereit, sie einzusetzen! Dort war ich vor gut 1 1/2 Jahren schon mal und ich wollte ein Foto wiederholen. Leider scheiterte dies an zwei Gründen: Es regnete nicht und der Laden hat seine Auslagen mittlerweile nicht mehr so schön drapiert. Deshalb siehst du hier jetzt das Foto aus Juni 2021, was ich schon mal anderswo gezeigt habe.

Böttcherstraße in Bremen | Nikkor 14-30mm @ Nikon Z6 | 1/125s. | f7.1 | ISO 400 | 14mm KB

An der Schlachte wollten wir uns dann für den Sonnenuntergang platzieren. Dies scheiterte leider ebenfalls und zwar am Sonnenuntergang. Kurz vorher zog der Himmel komplett zu und konnte nur schnell ein random Bürohaus mit immerhin spektakulärem Himmel ablichten. Die Schlachte ist die, direkt an der Weser gelegene, Kneipenmeile Bremens, die aber zeitgenössisch-typisch von Systemgastronomie dominiert wird. Allerdings gibt es hier einen wunderschönen Weihnachtsmarkt, den ich leider noch nicht vor die Kamera bekommen habe. Auch Veganer können hier bedenkenlos verkehren, denn das Wort ‚Schlachte‘ zeugt nicht etwa von einem ehemaligen Schlachthof, sondern davon, dass ab dem Mittelalter hier der bremische Stadthafen war und deshalb Pfähle für die Uferbefestigung eingeschlagen wurden.

Die Schlachte in Bremen | Fujinon 16-80mm @ Fuji X-T4 | 10s. | f 16 | ISO 320 | 35mm KB

Dass wir uns mitten auf der Kneipenmeile befanden, wurde uns immer wieder durch die vielen Bollerwagengruppen in Erinnerung gerufen, die hier verkehrten. Ich habe selten außerhalb von Veranstaltungen wie Fußball oder Festivals schon so früh am Tag so viele betrunkene Menschen gesehen. Und von Kameras werden diese Klapskallis angezogen, wie die Motten vom Licht. Einen fragte ich, ob ich ihn in die Weser werfen darf, was irgendwie nicht so gut ankam. Keinen Humor, diese jungen Leute… Etwas Rot zeigte sich doch am Himmel, wenn auch in die falsche Richtung. Aber immerhin.

Schlachte -andere Seite | Fujinon 23mm @ Fuji X-T4 | 1/8s. | f 5.6 | ISO 160 | 35mm KB

Instagram hat mich belogen! Dort sah ich ein vor einigen Tagen gepostetes Bild mit relativ spärlich beleuchtetem Dom. Leider war das Bild wohl schon älter, was der Fotograf natürlich nicht erwähnenswert fand. Wir standen auf dem Rathausplatz. Vor dem Dom. Das Ding war stockfinster! Immerhin war die Bürgerschaft spärlich beleuchtet und die Tram fährt vorbei. Also machten wir das beste draus und zusätzlich hellte ich den Dom in Lightroom etwas auf. Dabei hatte ich das riesige Glück, dass mir ein Polizeiwagen mit Blaulicht mitten durch die Langzeitbelichtung bretterte. Kurze Frage an Hannoi, ob er das auch drauf hat: „Halt die Fresse!“ Das interpretiere ich mal vorsichtig als ’nein’…

Bremische Bürgerschaft, finsterer Dom und Blaulicht | Fujinon 10-24mm @ Fuji X-T4 | 40s. | f16 | ISO 200 | 16mm KB

Hier wieder ein Bild aus 2021. Wenn es geregnet hat, kannst du auf dem Rathausplatz mit einer Pfütze sinnvolle Dinge anstellen. Hier siehst du auch das gesamte Gebäudeensemble aus historischem Rathaus, historischem Dom und… dieser so gar nicht ins Gesamtbild passen wollenden Bürgerschaft, dem Parlamentsgebäude des Landes Bremen. Was man halt 1966 so gebaut hat…

Rathaus, Dom und Bürgerschaft | Nikkor 14-30 @ Nikon Z6 | 1/125s. | f8 | ISO 100 | 14mm KB

Wir zogen nun weiter in Richtung Schnoorviertel, oder kurz: Schnoor. Der (!) Schnoor ist ein altes Gängeviertel, wie es früher auch in anderen Hansestädten (z.B. Hamburger Gängeviertel) vorkam und was in erster Linie von den ärmsten Bevölkerungsschichten bewohnt wurde. Nachdem es Krieg und 50er-Jahre-Abrisspläne überstanden hat, zogen Künstler und Intellektuelle in das Viertel und gaben ihm den heutigen Anstrich. Heute ist der Schnoor eines der Touristenhighlights in Bremen.

Auf dem Weg zum Schnoor kamen wir an einem Kiosk vorbei und an der nahegelegenen Domsheide fanden wir auch Bänke. Diese wurden uns zum Verhängnis, denn auch die Straßenbahnen nach Sebaldsbrück und in die Neue Vahr halten an der Domsheide. Kenner wissen: Das garantiert ein gewisses Unterhaltungsniveau. Wir wurden nicht enttäuscht. Leider haben wir die Zeit komplett aus den Augen verloren, sodass im Schnoor nur Zeit für ein kurzes Foto blieb.

Schnoor | Fujinon 23mm @ Fuji X-T4 | 25s. | f 16 | ISO 160 | 35mm KB

Es war nämlich schon halb Acht durch und wir wollten noch zur ÖVB-Arena und was zu essen wollte auch noch gefunden werden. Masken- und Ticketpflicht in der Straßenbahn ignorierten wir. Ersteres eher versehentlich. Die ÖVB-Arena hieß und heißt eigentlich Stadthalle, aber das bringt ja kein Geld. Ebenfalls in den 60ern gebaut, hat man sich hier bemüht, ein eigenständiges Gebäude zu entwerfen. Das ist auch soweit gelungen, wer allerdings schon mal in der Essener Grugahalle war, dürfte zumindest Ansätze der Inspiration wiedererkennen. Leider war an dem Abend keine Veranstaltung in der Arena und diese Dachträger waren nicht beleuchtet.

Stadthalle Bremen | Fujinon 10-24mm @ Fuji X-T4 | 30s. | f 16 | ISO 160 | 22mm KB

Nun schnell einen (unterdurchschnittlichen) Döner verspeisen und dann kommt auch schon mein Zug. Halt, ein Foto vom Hauptbahnhof musste noch sein, leider hatte ich keine Zeit, darauf zu warten, dass sich diese Menschentraube direkt vor mir auflöst. Während ich meinen Zug gerade so eben erwischt habe, blieb Hannoi noch eine halbe Stunde vor dem Bahnhof sitzen und wartete auf seinen Zug. Zum Glück bekam ich per WhatsApp einen Liveticker, denn die schiere Anzahl kaputter Menschen nahm nun bemerkenswerte Ausmaße an. Sofort stieß er auf einen Betrunkenen, der „SV Atlas international!“ anstimmte. Niemand vor diesem Bahnhof war mehr nüchtern, außer die Frau, die jeden um 50 Cent anbettelte. Wohl auch nicht die 4 Typen, die eine Frau anlungerten, um auf dem Bahnhofsvorplatz nach dem Weg zum Bahnhof zu fragen. Hannoi hatte Spaß, ich hatte betrunkene Werder-Fans (und einen Wolfsburger!) und war sogar drei Minuten zu früh in Essen. Ein Fehler in der Matrix.

Hauptbahnhof Bremen | Fujinon 10-24mm @ Fuji X-T4 | 25s. | f 16 | ISO 160 | 16mm KB

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