Traditionen müssen gepflegt werden! Die Überschrift lässt mal wieder absolut nicht auf das Ziel der Reise schließen, dafür allerdings auf das vorherrschende Wetter.
Heute nehme ich euch mit in eine Gegend, die in der deutschen Foto-Bubble gefühlt so gut wie nicht existiert, obwohl es ja eigentlich direkt umme Ecke ist: Die Ardennen! Ab und zu sieht man mal was aus Dinant (Spoiler: Auch hier!), aber viel mehr bekomme ich bei Insta und co. nicht angezeigt, wenn ich nicht explizit auf die Suche gehe. Dabei sind die Ardennen voll von engen Tälern und sich hindurchschlängelnden Flüssen. Allein die Semois, ein 210 km langer Nebenfluss der Maas, hat über 50 Schleifen in jeglicher Ausführung parat – da ist für jeden Geschmack was dabei. Die Zugänge zu den entsprechenden Aussichtspunkten, die es sowohl auf belgischer, als auch auf französischer Seite mehr als genügend gibt, sind dabei erfreulich niedrigschwellig. Vielerorts befinden sich die Aussichtspunkte direkt an Departementsstraßen, nur selten ist eine kurze Wanderung erforderlich.
Im Gegensatz zu früher ist die Anreise per Panzer heute nicht mehr opportun. Allerdings würde ein Panzer zumindest einen belgischen Volkssport wirkungsvoll unterbinden: Jeder Belgier fährt dicht auf! Ausnahmslos! Auch Mutti im VW Caddy hängt dir ständig im Kofferraum. Dabei wollen die meistens nicht mal überholen, die machen das einfach, weil das ihr Ding ist.

Leider war das Wetter während meines Ausflugs eine absolute Frechheit, aber das ist hier seit Wochen der Fall und wenn der Herbst für mich fotografisch nicht komplett ausfallen sollte, müsste ich mich so langsam mal auf die Socken machen. Mein erstes Ziel liegt an der Ourthe. Auch die ist ein Nebenfluss der Maas, fließt allerdings direkt nördlich nach Lüttich. Die Barrage de Nisramont staut die Ourthe zum gleichnamigen See, der ein beliebter Freizeitort ist. Wenn ihr also – im Gegensatz zu mir – nicht im strömenden Regen da seid, dann solltet ihr mit Publikumsverkehr rechnen. Es gibt allerdings genug Parkplätze vor Ort. Für einen Stausee ist es sogar ein recht ansehnliches Fotomotiv, was in erster Linie daren liegt, dass jemand die nette Idee hatte, diese Holzhütte in den See zu bauen.

Bastarde de Bouillon
Eine Autostunde entfernt befand sich mein nächstes Ziel: Ein Kaff namens Bouillon, in einem engen Flusstal an der bereits erwähnten Semois gelegen. Hoch über dem Tal thront die Burg Bouillon, bzw. das, was von ihr übrig ist. Mein Plan war eigentlich, einen Aussichtspunkt südlich der Burg anzusteuern und dann diese und die Flusspromenade zu fotografieren. Zum Glück fuhr ich einmal durch den Ort, um vorher die Lage zu peilen. Aufmerksame Leser wissen, was jetzt zwangsläufig folgen muss: Richtig, die Promenade entpuppte sich als riesige Baustelle!

Zum Glück gibt es in diesem kleinen Städtchen direkt zwei Fotomotive. Durch den Tunnel fuhr ich auf die andere Seite der Burg, mein Ziel war eine uralt aussehende Steinbrücke, hinter der sich die bewaldeten Hänge der Ardennen auftürmen.
Würde man der Straße folgen, käme man zu einem Kloster, ich verließ jedoch vorerst Belgien für einen kleinen Abstecher nach Frankreich. Die Gelegenheit nutzte ich für eine kleine Mittagspause an einem Supermarkt – die Belgier nehmen Allerheiligen erstaulich ernst.

Maas macht mobil
Nach dieser ging es für mich nach Monthermé, dem Ort, an dem die Semois in die Maas mündet. Auch diese schlängelt hier freundlich durch die Gegend, jedoch war ich erstmal mit dem Start der einteiligen Fotoserie „ausgestorbene französische Kuhdörfer am Ende der Welt“ beschäftigt.

Kennt ihr das? Ihr sucht ein Fotomotiv mit Google Street View, seht ein vermeintlich leicht zu überwindendes Hindernis und schnallt erst vor Ort, dass die Kamera des Google-Autos ja sehr viel höher montiert ist, als eure Augen? Nein? Ist mir natürlich auch nicht passiert. Ich stand nicht vor einer 2,50m hohen Hecke neben einem Fußballplatz. Das könnt ihr nicht beweisen!
Nun zur Maas: Auch hier bot sich wieder ein Aussichtspunkt an, nur fünf Autominuten vom Dorfzentrum entfernt. Die einheimischen Spaziergänger schauten etwas irritiert, als der Typ mit dem deutschen Kennzeichen vor ihnen in den Waldweg zum Wanderparkplatz bretterte. Vom Parkplatz aus ging es kurz und knackig nach oben und das Erste, was ich oben erblickte, war die Tatsache, dass der Heiratsantrag wohl nicht von Erfolg gekrönt war.

Auch der Fotospot hatte nicht uneingeschräkt eine Rose verdient. Für einen Schuss mit dem Weitwinkel war in unmittelbarer Nähe viel zu viel Strauchwerk, das den Blick auf die Maas gut verdeckte. Untypischerweise kramte ich das Tele hervor, suchte verzweifelt nach irgendwas und fand immerhin einen schönen Ausschnitt, in dem die Maas durch den Ort kurvt. Besser als nix und ohne Sonne wäre der Himmel jetzt eh nur so mittelspannend gewesen. Das Schöne an dem Spot ist allerdings, dass er direkt nach Süden ausgerichtet ist und sich im Herbst für seitliche Sonnenauf- und untergänge eignen sollte. Wenn sie sich denn blicken lässt.

Das vielleicht schönste Schloss Belgiens
Ähnlich wie das Schloss Drachenburg bei Bonn wurde das Château de Walzin im 19. Jahrhundert romantisierend (wieder) aufgebaut. Es ist also nicht sonderlich alt, sondern sollte nur so aussehen. Das ist zumindest gelungen, auch wenn ich mit dem Motiv als solches nicht ganz glücklich bin. Das liegt vor allem an der Wegführung vor Ort, die mit „zwingend“ noch recht wohlwollend umschrieben ist. Bei jeder Gelegenheit wird einem klargemacht, wo man auf keinen Fall lang laufen soll – man hat hier offensichtlich keine Lust, auf wild herumstreunende Touristenmeuten. Nachvollziehbar, hier war von all den Orten, die ich heute besucht habe, auch am meisten los.

Nur leider führten die Wege nicht direkt ans Ufer der hier fließenden Lesse, sondern hinter eine Kuhwiese, die nur einen semi-zweckmäßigen Vordergrund abgeben wollte.

Kurz überlegte ich, die Drohne in die Luft zu schicken, allerdings war der Weg so unfassbar schlammig, ich fand einfach keine geeignete Startfläche.
Den besten Vordergrund gab es am Fluss, nur leider ist das Schloss von dort aus nicht so ansehnlich. Irgendwas ist ja immer…

Mr. Saxobeat
Na, schon nen Ohrwurm? Nun werdet ihr euch fragen, was ein rumänischer Dance-Pop-Song mit meinem nächsten Ziel zu tun hat? Der berühmteste Sohn der Stadt Dinant war ein gewisser Adolphe Sax; der Erfinder des Saxophons. Folgt mir für mehr unnützes Wissen!
Dinant dürfte das bekannteste der hier vorgestellten Ziele sein. Direkt am Fuße der Pont Charles de Gaulle, die hier die Maas überspannt, liegt die Kirche Notre Dame de Dinant. Direkt darüber liegt die Zitadelle, die netterweise beleuchtet wird. Das hätte ich mir auch vom Turm der Kirche gewünscht. Naja… Dennoch bietet das Ensemble aus Kirche, bunten Bürgerhäusern und der Zitadelle auf dem steil aufragenden Felsen ein spektakuläres Fotomotiv, das von der Brücke schön ergänzt wird. Hier darf auch mal das Ultraweitwinkel-Objektiv sein Dasein rechtfertigen.

Mr. Technobeat
Als ich den Vorplatz des Stadions betrete, knarzt selbstverständlich Technogeschredder aus den Boxen. Die Dame an der Kasse kann selbstverständlich kein Englisch. Willkommen in Belgien, dieser eigentümlichen Mischung aus Frankreich und der Niederlande. Was wäre ein Ausflug ohne Fußball? Eben. Der Belgier hat die Angewohnheit, nicht mehr benötigte Dinge einfach verkommen zu lassen, was dazu führt, dass an jeder Ecke alte Stadien stehen, denen man die Patina durchaus ansieht. So auch in Charleroi, wo klassisch mitten im Wohngebiet das Stade de la Neuville steht.

In diesem residiert seit 1920 mit Unterbrechungen der Royal Olympic Club de Charleroi (ROCC), der allerdings nur die zweite Geige der Stadt spielt und keinesfalls mit dem weitaus erfolgreicheren Royal Charleroi Sporting Club verwechselt werden sollte. Damit die Verwirrung perfekt ist, spielen beide in schwarz-weiß. ROCC hatte seine erfolgreichste Zeit in den 1930er bis 1960er Jahren, wobei es auch zu der Zeit meist nur zu Mittelfeldplätzen in der ersten Liga reichte. Die letzte Erstligasaison war allerdings 1975 passé und seit 1981 gab es nur zwei weitere Saisons in der zweiten Liga. Umso überraschender kam jetzt der erste Aufstieg in die zweite Liga seit 2008.

Auch Lüttich schickte nur die zweite Geige. Der RFC de Liège wurde 1896 zwar erster belgischer Meister überhaupt, aber ähnlich wie ROCC hatte der RFC seine beste Zeit vor 1965, konnte in den 50ern aber immerhin noch zwei Meistertitel erringen. Heute steht man klar im Schatten des 10-fachen Meisters Standard. Das letzte Aufbäumen Ende der 80er führte immerhin in zwei europäische Viertelfinals, mitte der 90er konnten die Augen jedoch vor den finanziellen Problemen nicht mehr verschlossen werden und es folgte der Abstieg bis hinunter in die vierte Liga. Seitdem reiht sich der RFC in die lange Reihe tief gefallener belgischer Traditionsvereine ein, aber im Gegensatz zu vielen anderen Kandidaten gibt es sie wenigstens noch.
Bos-Move
Auch wurde der RFC 1990 eher ungewollt zu einem der wichtigsten Akteure im Weltfußball, als der Verein einem gewissen Jean-Marc Bosman mittels einer völlig überhöhten Ablöseforderung den Wechsel zum französischen Zweitligisten USL Dunkerque verbaute. Für die Nicht-Fußballfans unter euch: Bis dato war es im europäischen Fußball üblich, dass selbst nach (!) Vertragsende noch eine Ablösesumme an den abgebenden Klub zu entrichten war. In der normalen Wirtschaft völlig undenkbar, stellt euch vor, ihr wollt den Arbeitgeber wechseln und eure bisherige Firma verlangt einfach 300.000€ von eurem neuen Chef. Absolut irre! Dies dachte sich auch Bosman, der sich als Arbeitnehmer und somit in seiner Freizügigkeit eingeschränkt sah und zog bis vor den Europäischen Gerichtshof, der 1995 mit dem Bosman-Urteil eine wegweisende Grundsatzentscheidung traf, die die bisherige Praxis der Klubs als nicht rechtmäßig erklärte. In Folge saßen plötzlich die Spieler am längeren Hebel und konnten die millionenschweren Verträge aushandeln, die wir heute nur noch achselzuckend zur Kenntnis nehmen.

Für Bosman zahlte sich der Einsatz am Ende nicht aus. Bei den Klubs galt er nun als Verräter und nach einigen wenigen weiteren Einsätzen, unter Anderem für den heutigen Gegner ROCC, beendete er 1996 seine Karriere. Erst neun Jahre später bekam Bosman eine Entschädigung zugesprochen, er lebt heute verarmt und verbittert von Sozialhilfe und ein paar Almosen der Spielergewerkschaft FIFPro.
„Das Bosman-Urteil hat nicht nur meine Karriere, sondern auch mein Privatleben zerstört. Liebe, Zufriedenheit, Lebensqualität – alles weg. Es hat mich zu viel gekostet.“
Jean-Marc Bosman, 2019.
Aber nun mal zum heutigen Spiel, das erstaunlich schnell erzählt ist, denn viel bekamen die ca. 700 Zuschauer (davon ca. 150 Gäste) nicht zu sehen. Der Gast ging in der 12. Minute in Führung, ROCC glich nach 38 Minuten sehenswert per Fallrückzieher aus und musste in der 62. Minute eine ziemlich lächerliche Rote Karte wegen einer angeblichen Notbremse hinnehmen. Mehr passierte nicht.
Kanne-Loni
Auf dem Heimweg gab’s ne Zugabe, diesmal an der belgisch-niederländischen Grenze. Ja, gut rumgekommen heute… Dort gibt es ein Kaff namens Kanne und dieses hat eine Brücke über den König-Albert-Kanal. Diese Brücke ist nicht nur durch ihre Form ein Foto wert, sondern auch durch die symmetrisch und kurvig angelegten Zufahrten. Leider seht ihr auf dem Foto nichts davon.

Dies hat zwei Gründe: Erstens habe ich in der Dunkelheit keinen Bock gehabt, mir auf dem Weg zum über der Brücke gelegenen Aussichtspunkt die Haxen zu brechen und zweitens hätte ich dort noch darauf warten müssen, dass sich auf der Brücke Autos entgegen kommen. Leuchtspuren und so… So wenig Verkehr, wie dort auf einem Samstag um Mitternacht war, hätte ich darauf vermutliich sehr lange gewartet. Ich rede mir jetzt einfach ein, dass ich die Brücke auch von unten schön finde, packe meinen Krempel zusammen und fahre nach Hause.
