Landschaftsfotografie kann bisweilen frustrierend sein. Du fährst stundenlang zu einem Spot, alle Wetterparameter passen und kurz vor Sonnenuntergang zieht es unerbittlich zu. Kennen wir alle. Haben wir alle schon erlebt. Das Gute ist: In den meisten Fällen kannst du deinen Plan zumindest theoretisch wiederholen.
Was aber, wenn du bei deinem Zielfoto auf eine bestimmte Konstellation, bestehend aus Event, Wochentag und Uhrzeit (und freilich dem Wetter) angwiesen bist, die in den nächsten Jahrzehnten erstmal nicht mehr vorkommen wird? Nein, es geht (leider) nicht um Polarlichter, sondern ich heiße dich herzlich willkommen in der Welt der Stadionfotografie.
Wie auch dem größten Fußballmuffel nicht entgangen sein dürfte, war Deutschland Gastgeber der Europameisterschaft. Und ich mache aus meinen Gefühlen diesbezüglich gar kein großes Geheimnis: Die EM war mir lange Zeit komplett egal, wie mir eigentlich alle Auswüchse des Turbokapitalismus namens Profifußball ziemlich egal sind, aber die Tatsache, dass ein großes Turnier erstmals seit 2016 wieder in einem richtigen Land stattfindet (die WMs in so gastfreundlichen Destinationen wie Russland und Katar blende ich mal aus), hat dann doch für ein paar selige 2006-Vibes bei mir gesorgt. Die älteren unter euch erinnern sich sicher an die abertausenden, zumeist friedlich feiernden Fans aller Herren Länder, die damals jeden deutschen Spielort unsicher machten. Spätestens die Schilderungen von Pinguin, der in Köln die Schotten erleben durfte, zwangen mich dazu, meine Kamera in die Hand zu nehmen und mich auf eine Reise zu begeben.
Mer losse de Bahnhofskapell in Kölle
Besagter Pinguin, Forumsmitglied und wohnhaft in Spuckreichweite der Bahnhofskapelle, hatte ein Ticket für das Spiel Belgien gegen Rumänien in Köln und ich schloss mich ihm und seinem Kumpel an. Ich hatte kein Ticket und, das mag jetzt verwirrend klingen, ich hatte auch nicht das geringste Interesse daran, eins zu kriegen. Ich wollte einfach nur etwas EM-Stimmung mitkriegen und fotografisch begleiten.
Hierfür begaben wir uns zunächst zum Heumarkt, wo sich neben dem offiziellen Fanfest allerhand Belgier einfanden, begleitet von einem Bengalo und einer Marching Band. Ja, richtig gelesen!
Die war eine wohltuenede Abwechslung zu dem Techno-Schrott, den die sich sonst reinballern, aber bereits einige Meter weiter auf dem Alten Markt wurde mein Klischee bestätigt, indem eine Rollkoffer-große Bassbox durch die Gassen gezogen wurde.
Exakt so habe ich mir diesen Ausflug vorgestellt. Auch einige versprengte Schotten waren noch anwesend, angeblich sollen sich allein am Alten Markt letzte Woche über 50.000 von denen getummelt haben.
Wir ließen uns in Richtung Hauptbahnhof treiben und nahmen von dort die S-Bahn in Richtung Stadien. Diese war komplett in rumänischer Hand, was man nicht nur an den Trikots erkannte, sondern auch an den fragenden Gesichtern, als ihnen eine Durchsage auf deutsch (!) mitteilen wollte, dass sie doch bitte nicht im Zug springen mögen.
Ehe wir uns versahen, fanden wir uns inmitten des rumänischen Fanmarsches wieder. Hierzu organisiert die UEFA für jedes Team einen Treffpunkt ca. 1 km vom Stadion entfernt, wo sich alle Fans sammeln können und von wo aus man gemeinsam zum Stadion laufen kann. Der niederländische Fan-Marsch ging ja einigermaßen viral…
Ich konnte mein Glück kaum fassen, dort mitten drin gelandet zu sein und beeilte mich, außen rum irgendwie vor diese Masse zu kommen, was gar nicht so einfach war. Die letzten Meter bahnte mir ein renitent klingelnder Fahrradfahrer, der überhaupt kein Verständnis dafür hatte, dass sein Weg von abertausenden Rumänen versperrt war und an dessen Fersen ich mich heftete.
Ich hätte nie damit gerechnet, dass so viele Rumänen anwesend waren und auch nicht damit, dass viele extra aus Rumänien angereist sind. Sicher wird die Mehrzahl in Deutschland lebende Rumänen gewesen sein, ich habe aber auch eine Menge Autos mit rumänischen Kennzeichen gesehen.
Sonnenuntergang im Schlosspark
Die KVB war dem ganzen Spaß auch überhaupt nicht gewachsen und so war ich erst eine Stunde nach Plan zurück am Auto, gerade noch rechtzeitig für den Sonnenuntergang. Ich fuhr schnell raus ins Umland, denn südlich von Köln gibt es einige kleinere und größere Schlösser, die bekanntesten von ihnen sind Augustusburg und Falkenlust in Brühl, die als UNESCO-Welterbe eingestuft sind, nur leider für einen sommerlichen Sonnenuntergang gar nicht gut liegen. Daher entschied ich mich für das sehr viel kleinere Wasserschloss Gracht in Liblar, leider war der Sonnenuntergang nicht meiner Meinung und verzog sich gerade rechtzeitig hinter eine aufziehende Wolkenfront.
In the summertime…
Nun wirst du sicher gestutzt haben. Köln sind doch keine 1.300 km?! Das ist absolut korrekt, aber ich habe mir für die nächsten Tage spontan Urlaub genommen und habe mich ins Auto gesetzt, um ein Foto von meiner Bucketlist zu streichen. Ich hatte ja eingangs erwähnt, dass ich auf der Jagd nach einem Stadion war. Dieses ist bei Spielen und anderen Anlässen beleuchtet. Zweiteres teilt einem natürlich wieder niemand mit, Grüße an einen bestimmten Bochumer Wasserturm. Nur leuchtet dieses Stadion an Heimspielen in einem wirklich furchtbaren Rot, was es für mich völlig unattraktiv macht. Bei EM-Spielen hat man sich allerdings dazu entschlossen, das Stadion in den Farben des EM-Lgoos zu beleuchten und wie sang schon Verona Pooth? „Das gibt’s nur ein Mal. Das kommt nie wieder!“
Also sattelte ich die Hühner und fuhr sehr spontan nach München. Nicht ohne Pausen, denn das Auto hatte Hunger. So trug es sich zu, dass ich gerade durch irgendeine Raststätte im Hessischen stapfte, als mir ein wüst schimpfender Mann entgegen kam: Grünes Karo-Hemd, Weste, leicht untersetzt und Vollbart. Vermutlich Wohnmobil-Fahrer, höchstwahrscheinlich auf den Namen Herbert hörend. Herbert regte sich tierisch darüber auf, dass man hier gar nicht mehr bedient wird (ist halt alles SB…) und er würde jetzt ganz dringend den ADAC in dieser Angelegenheit einschalten. Ok, Herbert.
Die nächste Pause legte ich in Erlangen ein. Nicht zum Laden, sondern weil ein gewisses, magisches Umlaut Geburtstag hatte. Mit seiner Frau vereinbarte ich vorher die höchste Geheimhaltungsstufe und so schaute er ziemlich blöd aus dem Waschbär, als ich plötzlich neben ihm stand. So war ich dann erst um kurz vor 1 Uhr im Hotel, aber mit einer Ankunft ne Stunde vorher hätte ich auch nichts gewonnen.
Basel-Vibes
Für die Aktion habe ich mir ja eine ganz tolle Woche ausgesucht! Schon am Morgen waren flauschige 27 Grad und so hatte ich absolut keinen Bock, durch die aufgeheizte Stadt zu laufen, auch wenn mich schon interessiert hätte, was die abertausenden Dänen vor dem Spiel so treiben. Ich stattete daher dem Olympiapark einen Besuch ab, nur leider hatte ich die Rechnung ohne das offizielle Public-Viewing-Area gemacht, die genau neben dem Olympiastadion stand und Fotografieren dort völlig sinnlos machte. Es blieb bei einem Schnappschuss vom Olympiaberg. Während ich dort oben stand, stiefelte ein älteres Pärchen vorbei. Er fröhlich pfeifend und sie zeternd hinterher: „Leichter Spaziergang… I bin do ka Gemse!“
Das dachte ich mir dann auch und verschob jegliche körperliche Aktivität in die Abendstunden. Da nun aber noch mächtig Zeit auf der Uhr war, fuhr ich raus zum Ammersee, was nur eine halbe Stunde dauerte. Dort war es gefühlt erheblich kühler, aber immer noch viel zu heiß für alle Aktivitäten, die nicht die Worte „Eis“ und „sitzen“ beinhalteten. Immerhin weiß ich jetzt, dass in Inning am Ammersee zwar kein Baseball gespielt wird, es dort aber das großartigste Schokoladeneis der Welt gibt. Unbedingt bei der Eismacherei Fischer vorbeigucken!
Der fotografische Ehrgeiz packte mich dann doch kurz, denn ich erspähte ein Bootshaus am Ufer. Zum Glück zogen mittlerweile ein paar Wolken auf, sodass der Himmel zumindest etwas gut aussah. Da man dort direkt am Nordufer steht, dürfte sich das auch für verschiedene Situationen rund um Sonnenauf- und untergang ausgehen und da ich von München sowieso (mal wieder) nichts gesehen habe, muss ich eh nochmal hin.
Die Doppelkirche vom Monte Müllo
Nun wollte sich aber bereits ein Parkplatz in der Nähe des Stadions gesucht werden, denn das ist in München immer ein ganz großes Abenteuer, wenn man nicht 10€ im Stadion-Parkhaus latzen will. Und ich wollte ja gar nicht INS Stadion. Neben diesem liegt praktischerweise ein Hügel, der bis in die 60er Jahre als Mülldeponie genutzt wurde und für den das Dorf Fröttmaning fast komplett weichen musste. Die Kirche existiert noch und als Kunstinstallation wurde eine Kopie der Kirche in den Hang gebaut. Diese sollte mir später als Vordergrund dienen, aber erstmal musste ich diesen Hügel erklimmen.
Oben angekommen stellte es sich als gute Idee heraus, eine Regenjacke dabei zu haben. Nicht, weil ich sie gebraucht hätte, bei immer noch fast 30 Grad, aber dank des Hochwassers einige Wochen zuvor und der seitdem anhaltenden Hitze gab es Tonnen von Mücken. Abertausende Blutsauger! Also mumifizierte ich mich ein und ärgerte mich, die Handschuhe zuhause gelassen zu haben.
Nun aber zum Zielfoto: Die Bildgestaltung war denkbar einfach, Kunstkirche auf die linke Drittellinie in den Vordergrund, Brennweite auf 50mm (KB) und einfach warten. Neben mir waren noch 10 andere Fotografen anwesend, aber die entschieden sich alle für einen Blickwinkel ca. 15 Meter über meinem. Ich machte schließlich zwei Bilder und fügte diese hinterher in Photoshop zusammen. Der Himmel entstand eine halbe Stunde vor dem Rest.
Nachts in München
Das Spiel an sich hörte ich nebenbei per Sportschau-Audiostream und es war furchtbar. Gut, dass ich dafür keine 150€ ausgegeben habe. Nach Abpfiff beeilte ich mich, von diesem Hügel zu kommen, denn im Hintergrund sah ich zuckende Blitze, dank massivem Baumbewuchs konnte ich allerdings nicht bestimmen, wo genau dieses Gewitter tobte. Später zeigte sich, dass es weit entfernt irgendwo in Richtung Alpen rund ging.
Ich gurkte mal kurz durch die Innenstadt, nur um festzustellen, dass alle bedeutenden Gebäude stockfinster waren. Da ich die Nahrungsaufnahme etwas vergessen hatte, blieb nur der Schachtelwirt irgendwo am Stadtrand, auf dem Weg zum Hotel. Dort waren ebenfalls zugegen: 10 Dänen, 8 Serben und zwei Engländer. Leider war keiner der Beteiligten betrunken genug, um einen Streit vom Zaun zu brechen.
Achtung, Verrückte!
Am nächsten Morgen wurde ausgeschlafen, erst um 11 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Grünwalder Stadion. Dieses habe ich schon sehr lange auf der Liste, eigentlich zum Sonnenaufgang, aber das war beim besten Willen fernab jeglicher Motivation. Ich parkte direkt davor und machte die Drohne startklar, was eine zufällig vorbeikommende Radlerin verwunderte. Sie fragte, was ich da machen würde, ich erklärte ihr, dass ich Stadien fotografiere und dass ich über 600 km gefahren bin, um mir ein Fußballspiel von außen anzuschauen.
„Die Verrückten werden echt immer mehr…“ war ihre nicht ganz ernst gemeinte Antwort, ehe sie mir wünschte, München in guter Erinnerung zu behalten. Das werde ich, auch wenn ich (mal wieder) nichts von München gesehen habe. Ich war schon einige Male im Stadion selber habe noch nie irgendwas signifikantes von der Stadt gesehen.
Auch die letzte Ladepause wurde wieder überraschend unterhaltsam. Ich wollte gerade das Kabel abstecken, als aus dem VW ID.4 neben mir laute Marschmusik tönte. Hinterm Lenkrad saß ein Dude und übte dazu Trompete. Ein Blick auf das Kennzeichen ließ jeglichen Zweifel verstummen: Österreicher. Selbstverständlich.
Die Mischung ist wie immer einmalig: Dieser lockere unterhaltsame Erzählstil – und dann wieder gewaltige prächtige Bilder. Immer wieder eine Freude. Danke!
Moin Andreas,
mit gewisser Verspätung, weil die Fischkiste hier mal wieder keinen neuen Kommentar angezeigt hat. Freut mich, dass ich dir eine Freude machen konnte. 🙂