Viewfindr – Ein Gamechanger für Landschaftsfotografen?

Viewfindr – Ein Gamechanger für Landschaftsfotografen?

Hättest du gewusst, dass Gamechanger kein richtiges Englisch ist (Deutsch sowieso nicht) und wir dessen Existenz George W. Bush und seinem Hang zum ‚Bushism’ verdanken? Lernauftrag abgeschlossen, Tschöööö!

Aber darum soll es – überraschenderweise – nicht gehen. Seit einigen Wochen stolpere ich bei Instagram immer wieder über „Werbung“ für die App Viewfindr. Und zwar nicht die Art Werbung, die ich normalerweise sofort wegswipe, sondern die Fotografen, denen ich folge, spielen damit immer in ihren Insta-Storys rum. Meine Neugier war geweckt und so erfuhr ich, dass Viewfindr (ich kaufe ein ‚e‘ und möchte lösen: Bockwurst!) ein Projekt von Bastian Werner ist, der sich mit Wetterfotografie und Sturmjagd einen Namen gemacht hat. Nun war ich interessiert, die App einmal auszuprobieren, zumal diese bisher in den höchsten Tönen gelobt wurde. Normalerweise falle ich nicht auf Influencer rein. Ich schwöre!

Nach Installation und der mittlerweile üblichen Account-Erstellung wird mir ein Video-Tutorial nahegelegt. Puh. 30 Minuten. Nicht gerade einsteigerfreundlich, aber vielleicht lohnt es sich ja… Das Herzstück der App – die Wetterparameter – sind aber leider nicht drin. Da gibt es für jedes einzelne noch ein weiteres Tutorial von ~ 10 Minuten. Und es gibt noch ein allgemeines Wetterparameter-Tutorial. Das geht ne Stunde! Zum Glück wurde die App nicht von George R. R. Martin programmiert, sonst würden die Tutorials niemals fertig werden!

Einrichtung des Accounts / Newsfeed

Hast du dich angemeldet, fordert die App zunächst, deinen Heimbereich zu definieren. Dies dient dazu, den Newsfeed zu füllen, denn dieser soll – anders als bei Instagram – nicht mit einem Algorithmus der besten/tollsten/gesponsortsten Beiträge aufwarten, sondern mit den Fotos zu Spots in deiner Nähe. Klingt theoretisch super, praktisch wurde mir allerdings kein einziges Foto aus meiner Region angezeigt, sondern Wilhelmshaven und die Rhein-Neckar-Region.

Den Social-Media-Part übernehmen einige „Instagram-Light“-Funktionen. So kannst du anderen Fotografen entweder folgen, oder ihnen direkt eine Freundschaftsanfrage schicken. Auch kannst du einzelne Fotos und die Spots selbst bewerten und kommentieren.

Fotospots

Das Herzstück der App ist zweifellos der Menüpunkt ‚Fotospots‘. Auf einer übersichtlichen Karte, die du im Google-Maps-Stil zwischen verschiedenen Stilen umschalten kannst, siehst du alle hinterlegten Fotospots in deiner ausgewählten Region. Und nicht nur das, du siehst auch die aktuellen Sonnenzeiten und die verschiedenen Wetterkarten.

Wetterkarten

Endlich muss ich mich nicht mehr mit der Kachelmann-Seite herumschlagen, deren Webdesign direkt aus der Millennium-Hölle stammt, oder Meteoblue vertrauen, die nur allzu gerne daneben liegen. Hier kann ich beliebige Wetterkarten auswählen (siehe Screenshot) und auf der Map navigieren, für welchen Ort ich die entsprechende Vorhersage sehen will. Leider ist diese Vorhersage, wie auch die gesamte App nicht sonderlich schnell. Getestet habe ich das sowohl im heimischen Wi-Fi, als auch im 5G-Netz der Telekom, meinen Netzanbieter schließe ich also mal aus.

Alle verfügbaren Wetterkarten

Die Planung funktioniert nur für 24 Stunden im Voraus. Was für Wetterdaten noch verständlich ist – und von Bastian Werner auch exakt so kommuniziert wird – ist für die Sonnenplanung nur bedingt logisch. Für mittel- und langfristige Planung ist Viewfindr also tendenziell eher nichts. Schade, ich hatte insgeheim gehofft, nicht mehr so oft Photopills nutzen zu müssen. Gibt es einen Menschen auf dieser Erde, der den „Planer“ von Photopills versteht?

Leider sind die Wetter-Daten nicht frei von Usabilitiy-Problemen. Die verschiedenen Grade (z.B. Bewölkungsgrad, Blaue Stunde, etc… werden in Graustufen angezeigt. Ohne weitere Beschriftung. Nun ist es quasi ein Ding der Unmöglichkeit, auf dem kleinen Smartphone-Display herauszufinden, ob es sich um 30 oder 60% handeln soll.

Holzauge, sei grau-sam!

Dafür sind andere Parameter, wie z.B. der Regenradar und die Nebelhöhe schön farblich dargestellt und klar voneinander abgegrenzt. Das hätte ich mir für alle Karten gewünscht.

Bei uns regnet es morgen früh? Das kommt wirklich überraschend…

Auch die Bezeichnungen sind etwas gewöhnungsbedürftig. Mag sein, dass das offiziell alles so heißt, ich bin jedoch kein Meteorologe und hätte mir eingängigere Namen gewünscht. „Fotokontrast“ heißt leider nicht „Bewölkungsgrad“. Das wäre sprechender. Ebenso wie „Gewitterzellen“, das eigentlich ein Regenradar ist. Achtung, „Dichter Nebel“ zeigt auch tief hängende Wolken.

Kein hoher Nebel – nur (sehr) tiefe Wolken.

Da in der App selbst leider überhaupt nichts erklärt wird (und wer hat schon Bock, erstmal Tutorials in Tatort-Länge zu gucken?), dachte ich zuerst, dass das alles nicht funktioniert. Warum ist denn hier alles grau-rot schraffiert? Das heißt einfach 1% Wahrscheinlichkeit. Also Wuppertal-Wetter. Ich habe kurzzeitig verdrängt, wo ich wohne…

Aber, ich kann Entwarnung geben, es funktioniert! Ob die Vorhersagen wirklich immer exakt eintreffen, kann nur ein Langzeit-Test zeigen. Gewünscht hätte ich mir noch eine Schneekarte oder sowas, damit das lästige und umständliche Webcam-Checken am Zielort der Vergangenheit angehört.

Views

Die Fotospots werden in der App „Views“ genannt. Auch hier merke ich wieder die ausbaufähige Performance der App – es braucht ein paar Sekunden, bis ein Gebiet geladen ist. Aber dann habe ich eine übersichtliche Anordnung der jeweils eingereichten Spots einer Region.

Essen ist noch ausbaufähig…

Auf die kann ich draufklicken und bekomme dann eine Vorschau angezeigt und komme mit einem weiteren Klick in die Detailansicht.

Die Vorschau des Views

In dieser finde ich alles, was ich zum Fotospot wissen muss. Eine Beschreibung des Spots, wann ich den Spot aufsuchen sollte (z.B. Blaue Stunde), welche Brennweite ich ungefähr mitbringen sollte und Hinweise zu Parkmöglichkeiten und wie viel Wanderzeit ich vom Parkplatz zum Spot einplanen muss. Natürlich sind die Daten immer nur so gut, wie der User, der sie eingereicht hat, daher empfehle ich auf jeden Fall, die Angaben mit einer Drittquelle zu überprüfen.

Die Detailansicht eines Views

Aber auch hier wieder das leidige Thema Usability: Ich kann die GPS-Koordinaten kopieren, um sie in Maps einzufügen. Weiter unten kann ich auf „navigiere zum Parkplatz“ klicken und dann öffnet sich die hinterlegte Karten-App (bei mir Google Maps) automatisch. Warum kann ich das mit den Koordinaten des Spots nicht machen? Auch kann ich in dieser Map plötzlich nicht mit zwei Fingern zoomen, sondern finde rechts an der Seite Buttons. Warum?

Viele nützliche Parameter können angezeigt werden

Gut finde ich die Funktion, Anmerkungen zu den Spots geben zu können. Das soll ausdrücklich nicht als Kommentarspalte für die Fotos dienen (gibt’s separat), sondern für hilfreiche Anmerkungen/Korrekturen zu den Spots.

Generieren von Fotospots

Die Nutzer können (und sollen) eigene Fotospots generieren.

Blöderweise gibt es keine Möglichkeit, die Seite im Browser (z.B. am Rechner) aufzurufen. Das würde das Anlegen der Spots und Hinzufügen der Fotos massiv vereinfachen.

Will ich nun einen neuen Fotospot generieren, muss ich die Bilder von meinem Smartphone auswählen. Ich kann also nicht, wie in quasi allen anderen Apps, auf meine externen Quellen, wie z.B. Flickr, oder einen Cloud-Dienst zugreifen, sondern muss die Bilder vom Rechner dort hoch- und dann auf das Smartphone herunterladen, um sie dann in der App hochzuladen. Sehr umständlich! Das ist ungefähr so, als würde ich eine E-Mail ausdrucken, sie handschriftlich mit Notizen zu versehen, um sie anschließend wieder einzuscannen.

Habe ich das geschafft, kann ich die Parameter, wie Brennweite, Jahreszeit, etc. auswählen und muss eine mindestens 200 Zeichen lange Beschreibung eingeben. Am Smartphone immer noch umständlich. In dem Fenster kann ich nicht scrollen, sodass ich Texte tendenziell eher mit einer Note-App vorschreibe und dann reinkopiere. Auch das eher umständlich. Zu lang sollte der Text übrigens auch wieder nicht sein, sonst kann in der Vorschau auf der Fotospots-Map niemand den Spot aufrufen und auch den Text nicht scrollen.

Too much information…

Die Anmerkungen zum Parkplatz werden nicht in den generierten View übernommen. Außerdem ist die Parkplatz-Markierung einfach nur ein weißes Viereck. Das sieht man auf weißen Straßen eher so mittelgut. Auch Hashtags kann ich setzen, nur hat sich mir noch nicht offenbart, wofür ich das tun sollte. Danach suchen kann ich anschließend nicht, weder im Newsfeed, noch auf der Fotospots-Karte.

Wenn ich einen neuen Fotospot generiere, erscheint mein ausgewähltes Beispielbild immer als Top-Seed und kann nicht von anderen, vielleicht beliebteren Bildern verdrängt werden. Das motiviert, selbst Fotospots anzulegen. Ich und jeder andere kann später zu meinem Spot weitere Bilder hochladen.

Preise

Nichts ist umsonst, nicht mal der Tod. Und auch nicht diese App, denn sie kostet – nach einer 30-tägigen Testphase – 2,99€ monatlich, kassiert direkt vom Play Store, bzw. App Store. Eine kostenfreie Möglichkeit gibt es nicht, du musst einen zahlungswilligen Account anlegen.

Zahlemann und Söhne…

Etwas daneben finde ich, dass ich trotz Zahlungsmodell mit Werbung zugebombt wurde. Nicht unfassbar nervig und auch nicht aufdringlich, aber sie ist eben da. Unter Anderem wirbt ein gewisser Stefan Schäfer für seine Lightroom-Tutorials. Schon ärgerlich, das hätte man z.B. mit einem Freemium-Modell deutlich entspannter lösen können.

Werbemann und Söhne…

Leider ist keinerlei Accountmanagement möglich. Ok, ich kann mein Profilbild ändern, aber sonst nicht viel mehr. Einmal eingeloggt und das Abo-Modell bestätigt, gibt es überhaupt keine Hinweise mehr in der App, dass der Spaß Geld kostet. Und es gibt auch keine Möglichkeit, das Abo zu unterbrechen, etc. Es gibt einen Button ‚Account löschen‘, aber was passiert dann? Kann ich das Abo pausieren? Sind alle meine eingereichten Fotos und Spots weg, wenn ich den Account lösche?

Rudimentäre Accountverwaltung

Ich habe die AGB überflogen, aber auch da bin ich nicht fündig geworden. Dafür muss ich Bedingungen erfüllen, mich nicht in einem Land zu befinden, das einem Embargo der US-Regierung unterliegt, bzw. das von dieser als „Terrorismus unterstützendes Land“ eingestuft wurde. Was zum Henker hat Washington mit dieser App am Hut? Und wie definiert man „befinden“? So wie ich mich bei Online-Casinos eigentlich in Schleswig-Holstein aufhalten müsste? Darf ich jetzt also nen Roadtrip durch den Iran machen und dabei meine Viewfindr-Timeline checken, oder wird dann mein Account gesperrt? Ah, ok – es war ein AGB-Generator im Spiel. Fragen bleiben dennoch offen.

Fazit

Ja, Potential hat Viewfindr auf jeden Fall. Gerade die Wettervorhersage zu allen möglichen Themen und die einfache Spot-Suche, auch wenn man gerade gelangweilt in irgendeinem Gebiet herumturnt, machen die Viewfindr-App interessant. Jedoch hätten Bastian Werner und Co. ein paar Mark in einen vernünftigen Software-Tester investieren sollen. Stand Januar 2022 ist die Usability gelinde gesagt stark verbesserungswürdig und trübt den Spaß an der Nutzung der App nachhaltig. Auch das sehr intransparente Accountmanagement sollte dringend überarbeitet werden. Wenn man hier seine Hausaufgaben macht und man irgendwie gewährleistet, dass die Qualität der eingereichten Spots und Infos stimmt, kann Viewfindr auf kurz oder lang DAS Werkzeug für ambitionierte Landschaftsfotografen werden.

3 Kommentare

Hallo Ben,

da hast du dir aber sehr viel Mühe gegeben und die App sehr ausführlich vorgestellt. Danke dafür! Vielleicht liest den Beitrag auch Bastian W und kauft ein »e«.
Habe Viewfindr soeben auch runtergeladen und erhoffe mir eine verbesserte Wetterplanung für meine Landschaftsfotografie.

Gruß
Thomas

Hi Thomas,

ich hoffe, dass dir die App nützlich ist und freue mich, über deine Eindrücke zu lesen.

Danke für den Mail-Hinweis mit der Kommentarspalte. Ich werde mir das mal anschauen. Schon toll, dass das ausgerechnet in dem Beitrag nicht funktioniert, in dem ich mich über die Usability eines anderen Programms auslasse^^

Dir eine schöne Woche
Ben

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