IJsselmeervogels – SV Spakenburg

IJsselmeervogels – SV Spakenburg
An 363 Tagen im Jahr ist Bunschoten-Spakenburg ein verschlafenes, 20.000 Einwohner zählendes Städtchen im Großraum Utrecht, wo viele Einwohner noch vom Fischfang leben, in der Stadt kleine Einfamilienhäuser an kleinen Grachten liegen und man, wenn es mal windstill ist, auf dem Deich gemütlich zum nahegelegenen IJsselmeer radeln kann. An den übrigen zwei Tagen sieht man plötzlich berittene Polizei, hunderte Kinder, die mit rot oder blau gefärbten Haaren umhertollen und tausende Menschen, die auf einem Samstagmittag die engen Gassen entlang in Richtung Deich strömen, um dem „Derby der Derbys“ beizuwohnen. Zwei Mal im Jahr wird dieses malerische Fischerstädtchen mit seinen vielen kleinen Cafés und den auf den Grachten umherpaddelnden Schwänen zur europäischen Hauptstadt des Amateurfußballs, nämlich dann, wenn „Rode“gegen „Blauwe“ spielen, die IJsselmeervogels gegen den SV Spakenburg, der siebenmalige Niederländische Amateurmeister gegen den fünfmaligen und amtierenden Champion der Amateure. Dann herrscht im Dorf tatsächlich Ausnahmezustand und es lassen sich mehr Pressevertreter in Spakenburg blicken, als die örtliche Grundschule Schüler hat und jeder, der etwas auf sich, oder einen der beteiligten Vereine hält, schmückt sein Haus mit einer roten oder blauen Fahne.

Heerscharen von TV-Kommentatoren können irren, wenn sie das Liverpool-Derby kommentieren und ihnen fast das Zäpfchen steil geht, bei der Bemerkung, dass die Anfield Road und der Goodison Park nur rund 900 Meter auseinanderliegen. In Lissabon beträgt der Abstand zwischen dem Estadio da Luz und dem Estadio José Alvalade ca. 500 Meter. In Dundee liegen die Stadien von Dundee United und dem FC Dundee gar an gegenüberliegenden Straßenenden. In Spakenburg lächeln sie über derartige Vergleiche nur müde, denn die Stadien der IJsselmeervogels und dem SV Spakenburg liegen auf dem gleichen Gelände und keine 40 Meter auseinander (das ist die Entfernung, die man in Stuttgart mindestens vom Spielfeld entfernt war), was beide Vereine zur friedlichen Koexistenz berechtigt. Und friedlich war es tatsächlich, denn die Ordner hatten es nicht mal nötig, eine nennenswerte Fantrennung auf die Beine zu stellen. Ein unglaublicher Kontrast zum hiesigen Profifußball, wo Spiele zwischen Ajax, Feyenoord und dem PSV gerne und regelmäßig unter Ausschluss der Gästefans stattfinden und in den meisten Spielen ohne die personalisierte Club-Card mal überhaupt nix geht.

Nicht nur aus dem Grund der überaus plakativen Friedfertigkeit scheinen beide Vereine ziemlich zufrieden mit dem Status als Amateurverein, hatten doch beide in der Vergangenheit reichlich Möglichkeiten, in den Profifußball aufzusteigen, diesbezügliche Ambitionen aber schnell wieder verworfen. Es kann auch sein, dass niemand bei den Vereinen den Aufstiegsmodus verstanden hat und sie deshalb ewiger Amateurligist bleiben müssen. Der Modus sieht genau einen Absteiger aus der zweiten Liga vor. Die Meister aus den beiden dritten Ligen, der Topklasse Zaterdag (Samstag) und Zondag (Sonntag) spielen in einem Playoff nicht nur den Amateurmeister untereinander aus, sondern auch den Aufsteiger in die zweite Liga. Nur dieses Jahr haben alle in Frage kommenden Drittligisten schon dankend auf einen eventuellen Aufstieg verzichtet und so gibt’s eben keinen Absteiger. Warum auch aufsteigen, fragen die sich, denn erstens wird die zweite Liga in den Niederlanden genauso beschissen vermarktet wie in Belgien und vor 500 Zuschauern gegen den FC Eindhoven kicken, ist eben doch nicht so spannend wie die Topklasse, wo es zumeist eine nicht geringe Anzahl an lokalen Derbys gibt und der Zuschauerschnitt nicht eben viel geringer ist als eine Liga höher.
Die Topklasse ist ungewöhnlicherweise nicht regional aufgeteilt, wie wir dies hierzulande kennen, sondern nach den Spieltagen am Samstag, bzw. am Sonntag. Dies hat historisch-religiöse Gründe, denn die Vereine, die in der Samstagsliga spielen, sind eher in den katholisch-orthodoxen Gegenden beheimatet, wo am Sonntag außer zum Kirchgang niemand einen Fuß vor die eigene Türe, geschweige denn zum Sportplatz tut. Die Vereine der Sonntagsliga gehören demzufolge eher den gemäßigteren protestantischen Gemeinden an.

Vor dem Spiel präsentierte der Supportersclub N.A.S. der IJsselmeervogels eine Choreographie mit dem Thema „Club der Legenden“, wo jeder der sieben Amateurmeisterschaften ein herausragender Spieler zugeordnet und mitsamt Spitznamen auf einer Blockfahne präsentiert wurde. Zwischen den Blockfahnen, wurden am Dach befestigte Bengalos und rot-weiße Rauchtöpfe gezündet. Die Gästefans ließen sich hiervon allerdings nicht beeindrucken und hüllten den Gästeblock mit Hilfe von 250 blau-weiß karierten Schwenkfahnen in ein Fahnenmeer, welches ihrerseits mit blauen Rauchtöpfen visuell unterstrichen wurde. An sich nichts besonders spektakuläres, aber wenn man sich 2 Jahre lang nur Amateurspiele im Ruhrpott anschaut, die quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden, kommt so ein ausverkauftes Derby mit 8.500 Zuschauern einer emotionalen Eruption gleich. Und das, obwohl die Stimmung während des Spiels bestenfalls mäßig war, denn beide Seiten hatten zwar je eine zwanzigköpfige Ultragruppierung am Start, denen gelang es aber nur selten, die jeweilige Tribüne zum Mitmachen zu bewegen.

Eigentlich unverständlich, denn das Spiel hatte durchaus Potential für so manchen Stimmungsoverload. Der niederländische Fußball wurde at it’s best zelebriert. Jeder Ball, der entweder höher als 50 cm gespielt wurde, oder länger als 2 Sekunden beim selben Spieler war, galt als verschenkt und so spielten gerade die IJsselmeervogels in der ersten Halbzeit beinahe so viele Pässe wie der FC Barcelona in einem Gruppenspiel der Champions-League gegen BATE Borisov. Ihnen zugute kam allerdings, dass die Abwehr der „Blauwe“ im besten Fall staunend zuschaute und im schlimmsten Fall vogelwild durch den eigenen 16er flog, was den „Vogels“ immer wieder hochkarätige Chancen bescherte, die allerdings durch eine anhaltende Weitschussallergie immer wieder verdribbelt wurden. Und wenn dann doch mal akute Torgefahr bestand, war meistens Thomas Verheijdt mit im Spiel, der Mittelstürmer der Vogels. Ein Typ wie ein Tier, gute 2 Meter groß, mindestens 100 Kg schwer und mit einer beispielhaften Athletik gezeichnet, der sich mit Anlauf in jeden Zweikampf schmiss, wo jedes Mal der Gegenspieler Angst haben müsste, sich im IJsselmeer wiederzufinden. Allerdings hatte er eine Technik und einen Abschluss wie Carsten Jancker und so stand, zur Verwunderung aller Beteiligten, am Ende der Halbzeit die schwarze Schäublenull auf beiden Seiten.

Und in der zweiten Halbzeit? Da zeigte sich das komplette Gegenteil der ersten Halbzeit, denn plötzlich wollte der SV Spakenburg doch noch etwas vom Derby mitbekommen und stürmte seinerseits, freilich mit der gleichen Taktik (schnell und kurz) wie die „Rode“ in Halbzeit 1 auf das Tor zu und die Vogels kamen nur noch zu sporadischen Entlastungsangriffen. Nur auch der SV Spakenburg war in einer Disziplin besonders groß, nämlich im Auslassen von feinsten Torchancen und so trennten sich beide Vereine nach grundlegend unterschiedlichen Halbzeiten leistungsgercht 0:0, obwohl beide auch gut zwei Tore hätten machen können. Eskaliert ist auch während des Spiels nichts, woran auch der sehr gute Schiedsrichte seinen Anteil hatte, denn er ließ grundsätzlich viel laufen und winkte nur humorlos ab, wenn irgendein Angreifer ebenso humorlos von einem rustikalen Innenverteidiger über die Seitenlinie gegrätscht wurde. Wobei ich auch anmerken muss, dass selbst bei böseren Aktionen kein Spieler großartig lamentiert oder sich wochenlang auf dem Kunstrasen gewälzt hat.

1 Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert