Dort sterben Träume – Berlin Teil 2

Dort sterben Träume – Berlin Teil 2

Vielen Dank an Kollege nordpolar für den Titel. Er las Teil 1 der Berlin-Tour und schickte mir Beileidsbekundungen via WhatsApp, die nicht unbedingt Verliebt in Berlin klangen:

Nach Berlin kriegen mich keine zehn Pferde… Gott, finde ich diese Stadt beschissen…

Die ganze Stadt, die Leute, alles. Ich kann diese Stadt nicht ausstehen, dort sterben Träume…

Wer in Hamburg wohnt, darf allerdings voller Abscheu auf andere deutsche Großstädte blicken. Besser wird’s halt nicht mehr…

Flutlichtfreitag

Da ich bekanntermaßen kaltstartfähig bin, wurde mir die Aufgabe zuteil, Sonnenaufgangs-Inspektor zu spielen. Das sah so aus, dass ich mit dem Aufzug kurz in die 8. Etage hoch fuhr und von dort einen Blick aus dem Fenster riskierte. Mit dem Hotelpersonal hatte ich vorher abgesprochen, dass wir kurz mit Kamera & Stativ auf die Terrasse dürfen, aber das forderte ich gar nicht erst ein. Heute kein Sonnenaufgang… hier ein Alibifoto mit dem Smartphone aus dem geschlossenen Fenster:

Schade, der Spot hat echt Potential… Also legten wir uns erstmal noch ein paar Stunden hin, ehe wir um kurz vor 10 zum Schloss Charlottenburg aufbrachen. Sieht im Herbst bestimmt wunderschön aus, zumal jetzt auch das Wetter mitspielte. Tja… was soll ich sagen? Natürlich wurde der gesamte hintere Bereich des Schlosses gerade großflächig von ein paar Baggern umgepflügt.

Sehr fotogen dieses Schloss…

Ich kramte etwas Laub zusammen, das mir als Vordergrund dienen sollte und verließ mich auf das alte Motto „Blende offen und hoffen“. Vielleicht habe ich etwas übertrieben und hätte mehr als Blende 1.4 nutzen sollen, vielleicht habe ich auch falsch fokussiert. Das Schloss ist jedenfalls nicht ganz scharf geworden. Auch die Front des Schlosses wurde verunstaltet, nämlich von einer riesigen Batterie Dixi-Klos. So blieb uns nur dieser Verlegenheitsschuss.

Von vorn ging’s ja eigentlich.

Im Südwesten

Ob die gegnerischen Agenten sich verlegen anschauten, als sie während des Kalten Krieges auf der Glienicker Brücke gegen ihre feindlichen Kollegen ausgetauscht wurden? Vermutlich nicht. Ob diese Überleitung verlegen im Boden versinken würde, wenn sie könnte? Vermutlich schon.

Glienicker Brücke

Nicht versenkt habe ich die Drohne, die sich den Spaß derweil von oben anschauen durfte.

Glienicker Brücke von oben

Und auch das Schloss Babelsberg kann man von dort ganz wunderbar fotografieren. Vorausgesetzt, man hat ein Tele dabei.

Schloss Babelsberg von der Glienicker Brücke aus

Anschließend verweilten wir bei wunderschönem Sonnenschein eine gute Stunde am Wannsee, ehe es weiter zum Mommsenstadion, der Heimat von TeBe Berlin, ging.

Mommsenstadion – TeBe Berlin

Halt, Moment. Hannoi wackelte am Wannsee noch schnell anne Bude. Brøndby-Mütze, Kippe im Maul… und bestellte einen Latte Macchiato. Passende Reaktion der Bedienung: „Ick hätt jewettet, du nimmst’n Bier!“ Hätte er wohl auch am liebsten, ich genoss derweil meinen Status als Beifahrer und kringelte mich vor Lachen auf dem Boden. Der Kollege hier machte es besser und genoss in seiner Mittagspause erstmal ein zünftiges Pilsken.

Wir entdeckten am Wannsee einen Steg, der leider nicht so einsam war, wie erhofft. Boote, blauer Himmel und herbstliche Bäume gehen aber immer.

Wannsee, Berlin

Nun wartete doch ein straffes Programm auf uns, für das wir trotz Innenstadtlage das Auto bevorzugten. Die blaue Stunde wollten wir am Bode-Museum zubringen, was wir letztlich auch taten.

Etwas dunkles Bode-Museum an der Spree

Auch der Bahnhof Friedrichstraße und somit der „Tränenpalast“ ist ganz in der Nähe.

Der Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße

Wer mal in Bonn ist und sich nur ein bisschen für Deutschland in der Nachkriegszeit interessiert, dem sei das Haus der Geschichte wärmstens empfohlen. Kost‘ auch nix. Im Tränenpalast ist eine Dependance davon eingerichtet, die sich vornehmlich mit der deutschen Teilung und den Reisen zwischen der BRD und der DDR beschäftigt. Für einen Besuch der Ausstellung blieb keine Zeit, für ein Foto des Gebäudes schon.

Der Stasi zu Füßen

Thematisch blieben wir sogar fast dabei, denn wir fuhren jetzt nach Lichtenberg. Hier, direkt neben der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit, liegt das Hans-Zoschke-Stadion des Oberligisten Lichtenberg 47. Diese spielten heute gegen TeBe, wobei uns das Spiel absolut nicht interessierte, ich wollte nur mit der Drohne ein Bild mit dem hell erleuchteten Stadion im Vordergrund machen.

Das Hans-Zoschke-Stadion mit der Stadt im Hintergrund

In der Finsternis zu fliegen, ist gar nicht so das Problem, nur die Landung versprach, knifflig zu werden. Rechtzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich eine Fotoleuchte im Rucksack hatte, stellte diese auf knallpink und legte sie als Orientierungshilfe auf den Boden.

Spätestens jetzt wird klar, warum wir das Auto bevorzugten, wir mussten nämlich 10 km fahren. In Berlin. Zum Feierabendverkehr. Mit der Bahn hätte es noch länger gedauert, denn an unser Ziel fuhr weit und breit keine Bahn, obwohl es nicht mal einen km vom Hauptbahnhof entfernt lag. Außerdem hätten wir uns dann im Hbf. ein Schließfach für die Stative und so mieten müssen. Na? Wer ahnt es? Richtig, Fußball! 🙂

Das Poststadion

Welches Spiel wir sahen, werde ich gleich noch schildern, zuerst mal ging es um das Stadion und hätte ich vorher gewusst, dass ich aufgrund der Platzverhältnisse dort überhaupt keine Möglichkeit haben würde, zu fotografieren, wir wären vorher schon mal hingefahren…

Das Poststadion ist eins der typischen Trümmerstadien. Nicht, weil es in Trümmern liegt, sondern weil es mit Kriegstrümmern vergrößert wurde. In Hannover, Ludwigshafen, Augsburg, Leipzig und anderen deutschen Städten wurden ganze Stadien allein aus aufgeschichteten Kriegstrümmern errichtet und verrichten größtenteils bis heute ihren Dienst, auch wenn sie über die Jahre natürlich umgebaut, oder modernisiert wurden.

Ein Schicksal, das dem Poststadion lange nicht zuteil wurde. Spätestens als sich Wacker Berlin 1979 endgültig aus der zweiten Bundesliga verabschiedete, übernahm der Zahn der Zeit das Zepter und nur noch die Platzanlage wurde notdürftig instand gehalten. Zum Glück war wenigstens der Denkmalschutz war auf zack und „rettete“ die Haupttribüne, die – zusammen mit dem Stadion – in vier Jahren ihren 100. Geburtstag feiert. Um das Areal einen Steinwurf vom neuen Regierungsviertel entfernt, kümmerte sich jedoch über zwei Jahrzehnte lang niemand. Pläne und Konzepte gab es genauso viele, wie mittlerweile Bäume auf dem Spielfeld wuchsen. Das „Große Buch der deutschen Fußballstadien“ schrieb noch 2001 „so wird das Poststadion, ein historisch bedeutender deutscher Sportstättenbau, wohl weiter verrotten, als trauriges Symbol für verfehlte Landespolitik.“ Die Zuschauerplätze waren zu dem Zeitpunkt schon längst aufgrund von Baufälligkeit gesperrt.

Ende der 2000er bewegte sich plötzlich etwas, das Stadion wurde wieder hergerichtet, wenn auch freilich in anderen Dimensionen. Heute fasst es noch 10.000 von zwischenzeitlich 60.000 Zuschauern und wird seit 2008 hauptsächlich vom Berliner AK 07 genutzt.

Berliner AK vs. FC Carl Zeiss Jena

Dieser Berliner AK gilt trotz des kurzzeitigen Intermezzos von Türkgücü München im Profifußball als erfolgreichster deutsch-türkischer Verein des Landes. Der BAK spielt zwar auch „nur“ Regionalliga, dies aber konstant seit 2011. Allerdings wurde im Sommer 2023 wohl der Abgesang eingeläutet, als sich das Präsidium und einige Sponsoren relativ überraschend zurückzogen. So steht der BAK zur Winterpause mit 11 Punkten am Ende der Tabelle, wenn auch nicht ganz aussichtslos.

Dazu beigtragen hat auch diese – man muss es so deutlich sagen – furchtbare Partie gegen den FC Carl Zeiss aus Jena. Furchtbar waren gewiss beide Mannschaften und Jena eigentlich noch viel mehr. Der BAK hatte nach 17 Minuten einen Lattentreffer und der Nachschuss ging geradewegs in den Gästeblock. Hätte er mal den Vorsänger getroffen und vom Zaun geschossen, hätten wir uns wenigstens nicht 90 Minuten lang diesen Lalala-Dauergesang von 30 Mann anhören müssen.

Danach war mit dem Heimteam nicht mehr viel los, aber auch Jena war absolut ungefährlich und hatte in 90 Minuten nicht einen echten Torschuss. Warum Jena trotzdem gewonnen hat, lässt sich mit „Kacktor des Monats“ nur recht unzureichend beschreiben, passte aber durchaus zu diesem furchtbaren Kick: Kurz vor der Halbzeit wollte Jena eigentlich einen Ball in den Strafraum flanken, dieser rutschte dem Spieler hauchzart über den Spann, nahm eine sehr eigenwillige Flugbahn und schlug hinter dem Torwart ins Netz ein, der mit großen Augen zurückblieb. Wir und unser derweil eingetroffene „Gast“ und ausgewiesener Berliner Fußballexperte Captain BlackAdder schüttelten verwundert den Kopf und Hannoi ging Bier holen.

Im Reiskocher durch die Nacht

Hannoi stellte sich die geholten Bier auch in die Figur, ob aus Gewohnheit, oder um sich diesen grausigen Kick schönzusaufen und zurück am Auto wunderte er sich, dass er einen Autoschlüssel bei sich trug. Da war ja was… Ehe ich mich versah, hatte ich den Schlüssel in der Hand und durfte ihn und den Captain durch das nächtliche Berlin gurken.

So gar nicht zufrieden mit der Speisenauswahl vor Ort, lotste Captain uns erst zum Wrangelkiez, nur um festzustellen, dass er sonst immer mit dem Drahtesel oder der BVG unterwegs ist und ich da vermutlich jetzt noch einen Parkplatz suchen würde. Also ging die Reise weiter in seine Hood, die lustigerweise gar nicht so weit von unserem Italiener von gestern Abend entfernt lag und er führte uns zu einem sensationell guten Vietnamesen. Danke dafür! Danach hieß es Abschied nehmen. Wir wollten noch ein paar nächtliche Fotospots abklappern, verloren jedoch schon beim ersten Versuch östlich der Jannowitzbrücke die Lust. Keine Parkplätze, wieder einsetzender Nieselregen und die Uhr zeigte fast Mitternacht. Ab ins Hotel!

Drecksbahn II

Nicht, dass wir am nächsten Morgen irgendwelche Termine gehabt hätten. Sonnenaufgang gab’s wieder keinen. Auch die Stadien hatten wir entweder schon alle abgeklappert, oder sie lagen in der Einflugschneise des Flughafens Tegel. Hier nix Drohne. Wir fuhren nochmal zur Frühstückscurrywurst am Gesundbrunnen und dann zum Sportplatz an der Wullenweberstraße. Dieser ist zwar weit entfernt davon, spektakulär zu sein, aber die Lage gefiel mir.

Sportplatz Wullenweberstraße

Wenn etwas spektakulär ist, dann die Bahn. Hannoi fuhr mich wieder nach Hannover und währenddessen kristallisierten sich bereits zwei Dinge heraus. Mein Zug wird mit mindestens 30 Minuten Verspätung in Hannover angkommen UND wieder nicht in Essen halten. Die Zugbindung wurde zwar aufgehoben, aber der frühere Zug war natürlich auf die Sekunde pünktlich und ich sah nur noch die Rücklichter.

Meine Fahrt endete also in Dortmund, wo ich eigentlich nur in einen Regionalzug umsteigen wollte. Allerdings regierte in Dortmund das blanke Chaos. Sämtliche Züge waren deutlich verspätet, zig Mal wurde das Gleis geändert. Auch die anwesende Polizei zeigte sich wieder von ihrer hilfsbereitesten Seite. Parallel spielte Bayern München in Dortmund und offenbar wurden einige nicht so gern gesehene Gäste aus Bochum (die eine Fanfreundschaft mit Bayern haben) direkt wieder einkassiert und sollten zurück nach Bochum begleitet werden. Die Anzeigen waren mittlerweile mit den ständigen Gleiswechsel komplett überfordert und ich musste in den gleichen Zug. Also fragte ich die anwesende Staatsmacht, ob der Zug in Richtung Bochum denn schon durch wäre. Ignorantes Schulterzucken war die Antwort. Naja, was erwarte ich Trottel auch…

Die Rolltreppen funktionierten natürlich auch nicht und es macht total viel Spaß, drei Mal mit dem ganzen schweren Fotozeug quer durch den Bahnhof zu hetzen. Irgendwann kam sogar der RE und neben mich setzte sich eine Dame mittleren Alters, die sogleich damit begann, mir ungefragt von ihrem Tag zu berichten und stolz Fotos ihres Hundes zu zeigen. Dabei wollte ich doch einfach nur nach Hause… So ein hässlicher Köter!

1 Kommentar

Dass in Berlin Träume sterben, ist mit Sicherheit richtig. Das kann allerdings in jeder Stadt passieren. Auch in Hamburg. 🤭 Aber. Wie man auf den Bildern sieht, hat Berlin ganz wunderbare Flecken. Übrigens, eines meiner Lieblingsbilder ist das vom Stadion TeBe, mit der S-Bahn. Toll erwischt! Für mich ist Berlin ein einzigartiges Mysterium. Magisch, chaotisch, bezaubernd, erschreckend, einfach alles. Unvergessen die Zeit vor der Wende. Nicht umsonst wurden Leute wie David Bowie und Iggy Pop davon angezogen. Trotzdem, ich wollte dort niemals leben.
Danke für den Bericht!

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