Die Stadt, die Verrückte macht – Berlin Teil 1

Die Stadt, die Verrückte macht – Berlin Teil 1

Freitagabend. Nach einem unfassbar schlechten Fußballspiel fahren wir durch das nächtliche Berlin und ich stelle die entscheidende Frage: „Wird man in dieser Stadt direkt bescheuert, wenn man zum Einwohnermeldeamt geht, oder kommt das erst mit der Zeit?“ Der im Auto anwesende Berliner weiß leider keine Antwort auf diese Frage, tut aber auch nicht sonderlich erstaunt über meinen Eindruck, dass in dieser Stadt jeder kräftig was am Helm zu haben scheint.

Die Bahn – die größte Kasperbude der Welt

Fleißige Leser dieses Blogs wissen, dass Beiträge gerne mal mit „eigentlich wollten wir woanders hin…“ beginnen. So auch hier. Eigentlich wollten Hannoi und ich in den Südwesten, das Saarland und den Pfälzerwald unsicher machen, aber die Wettervorhersage war mit „grauenhaft“ noch äußerst wohlwollend umschrieben. Für Berlin war auch kein besseres Wetter vorhergesagt, aber in einer Stadt ist sowas ein Stück weit egaler, als auf irgendwelchen Hügeln bei irgendwelchen Burgen, wo man auf passende Bedingugnen angewiesen ist. Also buchten wir zwei Tage vor Abfahrt schnell ein Hotel und schossen ein paar Fotospots aus der Hüfte.

Atypisch durfte Hannoi fahren, weil meine Frau das Auto einforderte und so kam ich in den Genuss einer frühmorgendlichen Bahnfahrt von Essen zum hannoverschen Treffpunkt. „Kann jemand ein gutes Jump’n’Run empfehlen?“ „Essener Hauptbahnhof nach 22 Uhr. Ein iPhone in der Hand erhöht den Schwierigkeitsgrad.“ Diese herumlungernden Figuren vermischten sich mit den letzten Halloween-Überbleibseln, die vielerlei nach einer harten Nacht aussahen. Ein anderer brüllte „Rot Weiss Essen, F*** und vergessen“ quer durch die Bahnhofshalle. Feinste Unterhaltung, wenn da nicht die Bahn an sich wäre: 10 Minuten vor Abfahrt meines ICE war erst von einer Verspätung die Rede und weitere zwei Minuten später fiel der Bahn ein, dass sie heute keine Lust hat, in Essen und Bochum zu halten. Was zum?!?

Zug fällt aus… fünf Minuten bevor es donnert. Danke, Bahn!

Gleis-Origami

In Dortmund mochte wieder gehalten werden, aber nun hatte ich plötzlich die Herausforderung, pünktlich in Dortmund zu sein. Zufällig (*hust*) hatte der eintreffende Intercity nach Dortmund genug Verspätung, sodass er zu meinem favorisierten Ziel wurde. Welcher Idiot hat in Dortmund eigentlich die Gleise numeriert? Gleis 11 direkt neben Gleis 16? Was soll das? Und warum laufen hier Leute in Gladbach-Trikots rum?

Später machte ich mir die Gaudi, den Zugbegleiter nach diesem ausfallenden Halt zu fragen. Mit der Antwort, dass sie das auch erst seit Düsseldorf (also 20 Minuten vorher) wüssten, war ich doch etwas überfordert.

Der Wurst-Basar am hannoverschen Hauptbahnhof führt morgens leider nur belegte Brötchen. Auf dem Bahnhofsvorplatz sind Waffen verboten – aber nur nachts. Tagsüber geht so’n Butterfly also scheinbar klar…

Die weitere Fahrt bis Berlin verlief erstaunlich ereignisarm, außer dass wir bei Magdeburg einen ca. einstündigen Stau umfahren durften und wir fast von jemandem aus Hannois Heimatkreis über den Haufen gefahren wurden, was nur durch meinen äußerst präzisen Warnruf „Achtung, ein Irrer!“ verhindert werden konnte.

Nach dem Check-In im, für solche Ausflüge perfekt gelegenen, Ibis an der Messe (kostenlose Parkplätze zuhauf und S-Bahn-Ring direkt vor der Tür), ging es für uns erstmal ziellos in die Stadt. Im Osten ist die Sonne im Winterhalbjahr ja echt früh weg, sodass es um kurz vor 17 Uhr schon ziemlich duster war. Dies kam unserem ersten Fotospot direkt entegen – dem Hauptbahnhof selbst. Die Hugo-Preuß-Brücke am Spreebogen gibt eine hervorragende Führungslinie ab, weil sie gewölbt und gebogen ist.

Hugo-Preuß-Brücke mit Berliner Hauptbahnhof und Spree

Die ersten Verrückten

Von dort ist es auch nicht weit bis zum Regierungsviertel. Ich stelle mich auf den Balkon des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses und will gerade den Reichstag fotografieren, als ein bunt beleuchtetes Partyschiff über die Spree geschippert kommt. Danke, Schiff. 😀

Reichstag mit Partyschiff

Direkt gegenüber liegt das Paul-Löbe-Haus, in dem sich – wie auch in seinem Nachbargebäude – verschiedene Sitzungssäle und Abgeordnetenbüros befinden. Ich entdeckte eine Führungslinie in Form einer Betonfuge. Hannoi saß daneben und langweilte sich demonstrativ: Blödes Haus. Blöde Kunst. Blöde moderne Architektur!

Paul-Löbe-Haus an der Spree

Blöde Radfahrer! Wie du ja am Bild erkennen kannst, ist rechts auf dem Fußweg echt viel Platz. Locker mehr als fünf Meter. Warum man seinen Drahtesel dann direkt an der Treppe entlangsteuern muss, wunderte mich noch gar nicht. Warum wir von der Tante dann angepöbelt wurden, nur weil wir wegen ihr nicht in die Spree springen wollten, wird aber immer ihr Geheimnis bleiben, denn die Antwort „ich steck dir gleich mein Stativ in die Speichen, du blödes Huhn“ wirkte irgendwie nicht deeskalierend. Komisch.

Nach diesem kleinen Ausflug fuhren wir zurück ins Hotel, um uns kurz zu sammeln und den Fotokram wegzubringen. Für den Abend stand mal wieder Fußball auf dem Programm, die heimische Hertha traf im DFB-Pokal auf den FSV Mainz 05. Kein Leckerbissen. Ich habe festgestellt, dass ich tatsächlich schon ewig nicht mehr im Olympiastadion war. Am 4. Februar 2012 sah ich ein furchtbares 0:1 gegen Hannover bei ebenso furchtbaren Minus 17 Grad. Kein Witz! Verflucht, war das damals kalt!

Kalt war es heute nicht, und selbst wenn, wir hätten kein Geld mehr gehabt, uns irgendwie zu wärmen. Die Hertha hat uns erst das Geld und dann die Seele geraubt. 35€ latzten wir für eine Karte, auf meine Frage, wo die ganzen Tickets der 25€-Kategorie denn hin sind, die ein paar Stunden vorher noch online waren, wusste der Shop-Mitarbeiter keine Antwort.

Noch mehr Verrückte

Wir hätten natürlich auch vor dem Stadion bei irgendwem kaufen können, der noch Tickets übrig hatte. Einer hielt ein Ticket hoch. 10 Meter weiter hielt einer ein mit Edding handgemaltes Pappschild hoch und suchte Tickets. Man könnte meinen, sie hätten nach rechts geswiped und ein anderer Fan war noch so freundlich, den Suchenden auf den Verkäufer aufmerksam zu machen: „Dit weeß ick och! Kiek doch mal richtig off dat Schild!“ gab es als Antwort zu hören. Auch hier war ich irgendwie nicht sonderlich deeskalierend zu dem Montagsmaler, langsam fragte ich mich aber, warum hier jeder mit einem imaginären Messer zwischen den Zähnen durch die Gegend zu laufen scheint.

Im Olympiastadion. Voll war es nicht.

Natürlich habe ich wieder nur mit dem Handy fotografiert. Zwangsläufig. Wir sind ja schließlich in Deutschland…

Das Spiel ist schnell erzählt: Der Schiedsrichter hatte – zum Pokalcharakter des Spiels passend – eine erfreulich lange Lunte und Zweitligist Hertha war dem Bundesligisten Mainz in allen Belangen überlegen. Am Ende stand es 3:0, aber nicht mal 30.000 Zuschauer wollten sich für diesen Kick erwärmen. Klar, die 25€-Kategorie war bestimmt spontan restlos ausverkauft…

Danach ging es ins Hotel und direkt in die Koje, denn Sonnenaufgänge sind im Osten Deutschlands tendenziell echt früh…

Hoch hinaus

…und deshalb verpennten wir den erstmal stilecht. Eine gute Stunde nach Sonnenaufgang schreckte ich hoch und blickte in ein hell erleuchtetes Zimmer. Wir machten uns fertig und fuhren zum Drachenberg -keine 10 Minuten entfernt – und trösteten uns damit, dass der Spot für einen Sonnenaufgang Anfang November sowieso nicht perfekt war. Nicht trösten konnte uns der 70-jährige, der die Treppen des Aufstiegs mit Leichtigkeit hoch sprintete, während wir uns auf dem Weg auf den 99 Meter hohen „Gipfel“ einen abröchelten. Aber wir hatten ja auch schwere Fotoausrüstung dabei. Und überhaupt, warum habe ich eigentlich dieses Stativ mitgeschleppt?

Blick über Berlin vom Drachenberg

Der Drachenberg entstand, wie sein Nachbar, der 120 Meter hohe Teufelsberg nach dem 2. Weltkrieg, als man den Trümmerschutt irgendwo hinkarren musste. Ich kenne das Prinzip Halde natürlich von zuhause, aber allein die Vorstellung, dass für diese beiden Berge ein einzelner Krieg verantwortlich ist. Krass.

Der Teufelsberg ist freilich bekannter, weil die Amerikaner im Kalten Krieg dort eine Abhörstation errichteten, die seit Ende der 90er lustig verfällt. Ein frei zugänglicher Lost Place, den wir allerdings nur aus der Ferne beobachteten.

Die Abhöranlagen auf dem Teufelsberg, fotografiert vom Drachenberg aus

Über die immer noch leicht goldene Stunde freute sich meine Drohne, die sich zuerst am Olympiastadion austoben durfte.

Der fliegende Glockenturm 🙂

Danach durfte sie noch die Siegessäule kennen lernen. Übrigens ist es gar nicht so einfach, neben der Straße des 17. Juni zu landen, ein neuerlicher Slowakei-Moment blieb mir aber zum Glück erspart. Vielleicht wäre es auch nicht unbedingt gut angekommen, wenn mir das Ding direkt auf ne Bundesstraße geklatscht wäre. Natürlich hätte ich das Foto lieber mit der richtigen Kamera gemacht und grundsätzlich gibt es am Bahnhof Tiergarten auch einen halbwegs geeigneten Spot dafür, aber wir hatten die Rechnung mal wieder ohne unser Lieblingstier gemacht: Dem Baukran! Der sollte uns am Wochenende noch öfter heimsuchen…

Die Siegessäule von oben

Im Osten der Stadt

Naja, erstmal Frühstück jetze… das geht nirgendwo besser als an der Curry-Baude am Bahnhof Gesundbrunnen. Beste Currywurst Berlins! Danach eierten wir etwas ziellos durch die Stadt und hielten unterwegs am Sportforum Hohenschönhausen, der Heimat des BFC Dynamo, dem Serienmeister der DDR-Oberliga in den 80ern. Hohenschön sind die Hausen dort tatsächlich.

Sportforum Hohenschönhausen

Geschäfte mit Supernamen: Gin-Chilla! Den Salami Social Club (natürlich ne Pizzeria) sahen wir später auch noch.

If you’re happy and you know it…

Es zog zu. Die Oberbaumbrücke ist tagsüber recht undankbar, irgendwie fanden wir keine Position und irgendwie hatte das für uns nur Schnappschuss-Charakter. Dafür hatten wir Spaß im Parkhaus:

Die Oberbaumbrücke mit U-Bahn

Nirgendwo kann man schneller die Menschenwürde verlieren, als wenn man an einer Parkhaus-Ausfahrt zu weit weg vom Karteneinführungsschlitz angehalten hat und in möglichst unnatürlicher Haltung versucht, das Parkticket einzuführen. Wenn man dann noch versucht, seinen feinen Zwirn dabei nicht dreckig zu machen, hat man jede Menge belustigte Fans. Grüße nach Kiel.

Auch die Abteibrücke war dank des Himmels nicht so spektakulär wie erhofft.

Die Abteibrücke

Nebenbei nahmen wir das Rathaus Köpenick mit.

Rathaus Köpenick von gegenüber

Auf dem Rückweg schauten wir noch an der Alten Försterei vorbei, dort spielt Union Berlin Bundesliga. Noch.

Das Stadion an der Alten Försterei von Union Berlin

Rückweg ist ein gutes Stichwort, wir waren für Berliner Verhältnisse echt am Arsch der Heide und wollten nun ins Hotel zurück. Natürlich verbanden wir das mit Sightseeing, denn wir machten einen Abstecher zum Kottbusser Tor. Das innerstädtische Pendant zum Kölnberg. Alter Schwede, was für eine Gegend!

Lecker Kotti

Blaue Stunde am Potsdamer Platz

Im Hotel warfen wir nur kurz das Auto auf den Parkplatz und bestiegen die nächstbeste S-Bahn. In der Innenstadt wäre das Auto nur im Weg. Dies waren am Potsdamer Platz auch die Weihnachtsbuden. Am 2. November! So ein Blödsinn! Wobei nicht mal die Buden das Hauptproblem waren, sondern diese Rutschbahn, oder was zum Geier das auch immer darstellen sollte.

Heute rutscht für Sie: Das Niveau… und der Fotospot

Ich wollte nämlich eigentlich den Bahnhof, also diesen riesigen Glasquader, als Vordergrund nutzen. Tja, schade Schokolade.

Auch ein Versäumnis, dass am Bahntower nicht wenigstens das DB-Logo beleuchtet ist. Wahrscheinlich ist es ihnen selbst peinlich, oder sie brauchen das Geld für die Vorstandsboni.

Der Potsdamer Platz zur Blauen Stunde

Die blaue Stunde war schnell vorbei und passend fing es an zu regnen. Das ist sogar ernst gemeint, denn der Regen sorgte dafür, dass weitaus weniger Touristen vor dem Brandenburger Tor herumlungerten, als das üblich wäre.

Kennt man, ne?! 🙂

Bereits gestern stellten wir fest, dass der Fernsehturm irgendwie so gar nicht spektakulär beleuchtet war. Vermutlich, weil gerade die Aussichtsetage saniert wird. Der Berliner Dom war ebenfalls völlig finster. Stand aber auch ein Gerüst dran. Vom Fernsehturm machten wir daher nur einen Alibischuss, weil wir eh gerade in der Nähe waren.

Blick auf den Fernsehturm

Mittlerweile goss es in Strömen, was dazu führte, dass wir unsere fotografischen Ambitionen für heute begruben und uns in den in den Zug nach Schöneweide hockten, um uns dort beim Italiener die Bäuche vollzuschlagen. Die Trattoria Il Monello, die ich von früheren Berlin-Besuchen kenne, liegt direkt am S-Bahnhof Schöneweide und wird hiermit klar empfohlen! Kein Nobelitaliener mit Chichi, sondern ein ganz bodenständiger und genau deshalb ganz wunderbarer Laden.

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